Passanten verteilen neben den aufgeschriebenen Aussagen Striche und gewichten sie. Petra Müller, Leiterin der Psychosozialen Beratungsstelle der Caritas spricht mit einem Journalisten über das gesellschaftliche Problem „Glücksspielsucht“, Kollegin Katrin Ertl liest aus einer überdimensionalen Zeitung Fakten zum Thema vor. In der Bibliothek selbst bietet ein Infostand weitere Daten und Material zum Mitnehmen an. Die Problematik braucht mehr Öffentlichkeit.
Eine andere Welt
Hinter den Türen und blickdichten Fenstern befindet sich eine andere Galaxie. Es glitzert und funkelt. Das Licht ist gedämpft, Geräusche und Gerüche vertraut. Adrett gekleidete Damen, überwiegend jüngeren Alters und schön anzuschauen, nehmen den Besucher in Empfang. Handelt es sich um einen der vielen Stammgäste, wird mit Namen begrüßt. Kaffee und Snacks werden gereicht; natürlich gratis. Das Sitzmobiliar ist bequem. Die Atmosphäre entspannend. Hier kennt man keine Probleme. Niemand verwickelt die Gäste in hintergründige Gespräche. Eine Galaxie der Glückseligkeit. Wer einmal die Reise in diese neue Welt angetreten hat, kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder. Die Abstände von Besuch zu Besuch werden kürzer, zu verlockend ist die Einladung ins Glück, zu groß die trügerische Gewissheit, einmal das ganz große Los zu ziehen, den Jackpot zu knacken und mit richtig viel Kohle auf die Straße zu treten.
Aus der Traum
Aber Träume sind Schäume. Wenn überhaupt von viel Geld gesprochen werden kann, dann nur an der Eingangstür; am Ausgang ist das Portemonnaie stets um einiges leichter. Jeder kennt den Grundsatz „Das Spielcasino gewinnt immer“. Spielcasinos, von denen es auch in Unterfranken immer mehr gibt, fahren gigantische Umsätze ein. Sie können gar kein Interesse daran haben, dass jemand viel Geld gewinnt. Wer der Spielsucht verfallen ist, blendet diesen einfachen Zusammenhang aus. Allein im Freistaat gelten gegenwärtig etwa 28.000 Männer und Frauen als pathologisch spielsüchtig; die Zahl der Gefährdeten liegt darüber und die Dunkelziffer dürfte ein Mehrfaches betragen.
Die Arbeit der Caritas
„Die Betroffenen, Männer wie Frauen, kommen aus allen Schichten der Bevölkerung“, erklärt Katrin Ertl von der Psychosozialen Beratungsstelle der Würzburger Caritas und räumt mit einem Vorurteil auf, es seien gerade die sozial Schwächeren, die es regelmäßig zu den Automaten zöge. „Die Konsequenzen machen keinen Unterschied zwischen Harzt-IV-Empfänger und wohlhabendem Akademiker“, fügt die Sozialpädagogin hinzu, „soziale Isolation, zerrüttete Beziehungen, kaputte Familien und im schlimmsten Falle jede Menge Schulden.“ Selbst schuld? „Nicht immer“, meint Leiterin Petra Müller. „Die Menschen, meist sind es Männer, die den Weg in unsere Beratungsstelle finden, zeigen uns, dass ihre Spielsucht handfeste Ursachen hat, die in der Lebensgeschichte liegen.“ Oft sei es der Verlust eines lieben Menschen, der Wunsch nach Flucht aus den Sorgen des Alltags oder die Sehnsucht nach unproblematischen Kontakten und einer freundlichen Ansprache, erläutert die erfahrene Beraterin der Caritas. Wie bei einer Droge wird aus einer ersten Gelegenheit rasch eine Sucht, ein Drang, dem nachgegeben werden muss, damit das Leben weitergehen kann. Die Betreiber der Casinos und Spielhallen machen es den Betroffenen sehr leicht auf dem Weg in die Sucht. Aus diesem Hamsterrad kommen die Wenigsten ohne Beratung heraus.
„Schließlich ist es der Leidensdruck, der die Klienten zu uns führt“, erzählt Katrin Ertl. „Kinder drohen mit dem Abbruch der Beziehung, Ehepartner mit der Scheidung.“ In der Beratung, die bisweilen nur eine einzige Sitzung umfasst, aber auch über Jahre hinweg andauern kann, wird einerseits nach den Ursachen der Glücksspielsucht geschaut, andererseits Strategien entwickelt, um mit ihr umgehen zu können. „Glücksspielsucht lässt sich nicht wirklich heilen. Man kann Methoden entwickeln, um deren fatalen Nebenwirkungen zu entgehen“, sagt Petra Müller. Es gehe ihr nicht darum, alle Spielhallen zu schließen; das würde die Probleme nur verlagern, aber in kleinen Imbissbuden und in Gaststätten müsste es keine Spielautomaten geben.
Ein Kommentar
Schaut man auf die Hintergründe wird die Misere schnell offensichtlich. Ungenutzte Verkaufsflächen sind im Handumdrehen eine Spielhalle. Städte und Kommunen dürften sich freuen, denn wenn der Spielautomat ordentlich schluckt, klingelt es in der notorisch leeren Kasse. Vielleicht sind die vorgeschriebenen Hinweise der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) an den Automaten auch deshalb so zierlich und klein. Die Probleme, die sich aus der Spielsucht Tausender ergeben, müssen anderswo gelöst werden. Die finanzielle Ausstattung der Beratungsstellen ist übrigens nicht Sache der Städte und Kommunen, sondern des Bezirks; getragen werden sie vielerorts von der Caritas, die neben Kirchensteuern und staatlichen Zuschüssen mit Spendengeldern arbeitet. Sie berät die Süchtigen, sie berät die durch Glücksspielsucht Verschuldeten und muss doch mit der Erkenntnis leben, dass es stets nur die sprichwörtlichen Tropfen auf heißen Steinen sind. Mehr als Aufklärungsarbeit und gelegentliche Appelle an die Öffentlichkeit wie am Aktionstag gegen Glücksspielsucht sind nicht zu leisten.