Jeder Mensch braucht ein Zuhause lautet der Titel der diesjährigen Caritas-Jahreskampagne. Auf großen Plakaten mit Fotos von Menschen in „offenen Zimmern auf der Straße“ verdeutlicht der Verband die Not von Menschen, die keinen bezahlbaren Wohnraum finden. Ein Thema, das auch in Würzburg immer brisanter wird und dringend Lösungsansätze benötigt.
Mit seinen beiden Projekten Wohnen für Hilfe und Wohnraumvermittlung „Fit for move“ reagiert der Caritasverband für die Stadt und den Landkreis Würzburg e.V. als einer der Akteure in der Würzburger Soziallandschaft auf das Thema und unterstützt und vermittelt Wohnraumsuchende und Vermieter*innen. Die Notlage kann aber nicht durch die Wohlfahrtsverbände allein gelöst werden. Sie können Hilfestellung geben, und sie müssen sich in ihrer Anwaltschaft für Betroffene gesellschaftspolitisch einmischen und Forderungen stellen, denn sie brauchen politische Entscheidungsträger*innen, die Rahmenbedingungen schaffen oder gegebenfalls ändern.
Die Idee des offenen Wohnzimmers aufgreifend, luden die Mitarbeiter*innen der unterschiedlichen Fachdienste des Caritasverbandes Entscheidungsträger*innen, Politiker*innen und Wohnungssuchende im Rahmen des U&D Festivals zum Austausch auf die Mainwiesen ein. An drei Tagen kamen 33 wohnungsuchende Personen, darunter Familien mit bis zu sieben Personen und Einzelpersonen ins Gespräch mit Dr. Christine Bötsch (CSU), Dr. Hans Jürgen Fahn (FW), Pia Theresia Franke (Caritasdirektorin) Volkmar Halbleib (SPD), Karen Heußner (Grüne), Axel Janz (Stadtbau), OliverJörg (CSU), Paul Lehrieder (CSU), Georg Rosenthal (SPD), Bernd Rützel (SPD) und Marion Schäfer-Blake (SPD).
Zur angespannten Wohnungssituation in Deutschland gibt es viele Informationen. Auch die Würzburger Zahlen und Fakten sind bekannt, z.B. aus der im März 2018 von der Stadt Würzburg herausgegebenen Broschüre Würzburg in Zahlen | Daten – Zahlen – Fakten.
Welche Konsequenz haben diese Zahlen für die Menschen?
Wie wirkt sich die Wohnungsnot in Würzburg ganz konkret auf eine siebenköpfige syrische Flüchtlingsfamilie mit Aufenthaltserlaubnis nach §25 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und Arbeitserlaubnis aus?
- Mit der Anerkennung ihres Asylgesuchs ist die Familie auszugsverpflichtet, das heißt sie muss aus der Gemeinschaftsunterkunft (GU) ausziehen. Das würde sie auch gerne, aber in der Stadt Würzburg gibt es so gut wie keine Wohnungen für große Familien.
- Aufgrund der Wohnsitzzuweisung muss die Familie aber in Würzburg wohnen, auch wenn die Chancen eine familiengerechte, bezahlbare Wohnung zu finden, in Landkreisgemeinden deutlich besser sind.
- In der Familie M. leben Vater, Mutter, drei Söhne im Alter von 21, 18 und 13 Jahren und zwei Töchter im Alter von 11 und 7 Jahren. Wenn die beiden erwachsenen Söhne im Alter von 21 und 18 Jahren gemeinsam in eine Wohnung ziehen könnten, wäre die restliche Familie mit fünf Personen deutlich einfacher zu vermitteln. Aber, ohne eigenes Einkommen müssen junge Erwachsene unter 25 Jahren bei den Eltern wohnen, ansonsten fallen sie aus dem Leistungsbezug.
- Die 7-jährige Tochter leidet an der Glasknochenkrankheit, die sich durch eine abnorm hohe Knochenbrüchigkeit mit unterschiedlichen Krankheitsbildern äußert. Das Mädchen kann nicht laufen und ist daher auf einen Rollstuhl angewiesen. In der Flüchtlingsunerkunft schiebt es sich ganz geschickt sitzend über den Boden aber die Wohnung dort ist für sieben Personen sehr klein und die Gefahr der Verletzung aufgrund mangelnden Platzes dementsprechend hoch.
Familie M. sitzt etliche Monate nach ihrer Anerkennung immer noch in einer GU. In der Stadt Würzburg findet sie keine Wohnung, während sie Angebote aus dem Landkreis ausschlagen muss.
Nach konkreten Beiträgen die Wohnungsnot in Würzburg zu verringern gefragt, ist Volkmar Halbleib, SPD Abgeordneter im Bayerischen Landtag „für eine starke wohnungspolitische Zusammenarbeit von Stadt und Landkreis Würzburg“ (z.B. mit eigener Wohnungsbaugesellschaft) und für einen Runden Tisch Wohnungspolitik mit allen maßgeblichen Playern der Region. Auch CSU Landtagsabgeordneter Oliver Jörg will eine Wohnungsbaugesellschaft „Bayern Heim“ gründen und durch die Förderung von Wohnvermittlungsprojekten wie Fit for move Wohnungssuchende besser begleiten.
Caritasdirektorin Pia Theresia Franke will sich unter anderem dafür einsetzen, dass Härtefallregelungen bei Wohnsitzzuweisungen sowohl in Bezug auf Wohnort Stadt oder Landkreis Würzburg als auch bei jungen Erwachsenen unter 25 Jahren geprüft werden.
Das Thema Wohnungsnot ist nicht nur für Flüchtlingsfamilien ein Problem. Das Problem ist längst mitten in unserer Gesellschaft angekommen. Für immer mehr Menschen wird das Thema Wohnen, ein Zuhause haben, zum Luxusgut.
Da sind zahlreiche Vollzeitbeschäftigte im Mindestlohnsektor. Viele von ihnen müssen ergänzende Transferleistungen beantragen, da ihr Einkommen für den Familienunterhalt nicht ausreicht.
Da ist die Friseurin, die in einer bisher vergleichsweise günstigen Wohnung in einem Würzburger Stadtteil lebt. Das Gebäude wird zur Zeit generalsaniert, mit der Konsequenz, dass die Mieten im Anschluss angehoben werden und viele Mieter*innen dadurch aus ihren Wohnungen verdrängt werden.
Da ist die Mutter mit drei Kindern, die alles aufgegeben hat und ins Frauenhaus ging, um sich von ihrem gewalttätigen Ehemann zu befreien und ihre Kinder zu schützen. Gerade für Kinder mit Gewalterfahrungen ist ein Zuhause, ein geborgenes Umfeld, enorm wichtig um Traumata zu überwinden.
Was ist zu tun? Welche Lösungsansätze sehen die Entscheidungsträger*innen aus Politik und Gesellschaft?
Die Politiker*innen die mit den Mitarbeiter*innen des Caritasverbandes ins Gespräch kamen sind sich in vielen Punkten einig. Der Soziale Wohnungsbau muss dringend weiter gefördert werden. Er soll langfristig geplant und schnell umgesetzt werden. Marion Schäfer-Blake und Dr. Christine Bötsch wollen Quoten für geförderten Wohnraum einführen, und Paul Lehrieder will ebenso wie Oliver Jörg und Dr. Hans-Jürgen Fahn Wohnvermittlungsprojekte fördern, das heißt für den Caritasverband, dass sein Wohnraumvermittlungsprojekt Fit for move gute Chancen hat, nach Ablauf der ersten Projektphase Mitte 2019, weitergefördert zu werden. Georg Rosenthal will darüber hinaus den ländlichen Raum durch Fördermittel attraktiver machen und dadurch Leerstand in Dörfern reduzieren. Außerdem spricht er sich für eine Verbesserung des ÖPNV aus. Bernd Rützel und Karen Heußner versprachen, beim Thema Wohnungsnot am Ball zu bleiben, das Thema immer wieder aufzugreifen und auf ihren jeweiligen politischen Ebenen dafür zu arbeiten, dass mehr bezahlbare Wohnungen geschaffen werden. So wie Axel Janz von der Stadtbau, der verspricht: „Wir bauen weiter neue Wohnungen, auch gefördert und barrierefrei, und wir renovieren, wir können aber nicht alles, da müssen viele mitmachen.“
Claudia Jaspers