Tief beeindruckt hat sich Weihbischof Ulrich Boom nach einem Besuch bei der Telefonseelsorge Würzburg gezeigt. „Danke für das, was Sie der Welt geben“, sagte er zum Abschluss eines Gesprächs mit haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern der ökumenischen Einrichtung. In der Diözese Würzburg gibt es die Telefonseelsorge Würzburg mit 100 ehrenamtlichen Mitarbeitern und die Telefonseelsorge am Untermain mit Sitz in Aschaffenburg mit 66 Ehrenamtlichen. Rund zwei Stunden berichteten die Mitarbeiter von ihren Erfahrungen, Sorgen, aber auch den schönen Momenten ihrer Arbeit. Der Besuch fand im Rahmen des Aktionstags „Leitung an die Leitung“ statt, mit dem die Telefonseelsorge Deutschland ihr Jubiläumsjahr eröffnete. Bundesweit waren katholische wie evangelische Bischöfe eingeladen, sich ein Bild von der ehrenamtlichen Arbeit der Telefonseelsorger zu machen. Auch Regionalbischöfin Gisela Bornowski besuchte die Telefonseelsorge Würzburg. Im Jahr 2016 feiert die Telefonseelsorge Deutschland ihr 60-jähriges Bestehen.
„Ich habe oft Menschen am Telefon, die niemanden mehr haben“, erzählt eine junge Frau. „Das ist oft berührend, es kostet Kraft und macht traurig. Aber es macht mich auch dankbar, dass ich Familie und Freunde habe.“ Wer sich bei der Telefonseelsorge engagiert, das wird an diesem Abend schnell klar, gibt nicht nur, sondern bekommt auch viel zurück. Rund zwei Stunden berichten neun ehrenamtliche und fünf hauptamtliche Mitarbeiter von ihrer Arbeit. Sie habe einen Ausgleich zu ihrem „sehr theoretischen und kopflastigen“ Beruf gesucht, erzählt eine Frau. Bei der Telefonseelsorge habe sie erfahren: „Das, was mir selbstverständlich erscheint, ist es nicht. Mein Leben ist durch die Arbeit in der Telefonseelsorge reicher und wertvoller geworden, und ich kann das in kleinen Bereichen zurückgeben.“ Es sei „eine ganz wunderbare Erfahrung“, ergänzt eine weitere Ehrenamtliche. „Vor allem, wenn es am Schluss heißt: Danke, das hat mir geholfen.“
Helfen bedeutet oft nichts anderes als Zuhören. „Mir war vorher gar nicht klar, wie einsam viele Menschen sind“, sagt eine Frau. „Wenn ich Daueranrufer wiedererkenne, freuen sie sich oft, dass jemand sie wahrnimmt.“ Die Gründe, warum Menschen die Nummer der Telefonseelsorge wählen, sind unterschiedlich. „Rund ein Viertel der Anrufe kommen von Menschen, von denen wir wissen, dass sie mit einer psychischen Erkrankung leben“, sagt Renate Obert, Mitarbeiterin der Telefonseelsorge Würzburg. Rund zwei Drittel der Anrufer seien Frauen. Doch seitdem es Handys gibt, steige auch der Anteil der Männer. Auch hätte die Zahl der nächtlichen Anrufe zugenommen. „Es gibt immer mehr Menschen in prekären Lebenslagen, die wegen ihrer Sorgen nachts nicht schlafen können. Und immer mehr psychisch Erkrankte, die einen anderen Tag-Nacht-Rhythmus haben“, erläutert Christiane Knobling, Leiterin der Telefonseelsorge am Untermain.
Diese Beobachtungen werden von einer Studie der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen gestützt, bei der die Daten von rund zwei Millionen Gesprächen untersucht wurden. Demnach leiden viele Anrufer unter einer psychischen Erkrankung oder haben Suizidgedanken. Fast 65 Prozent würden alleine leben, Einsamkeit und Isolation seien zentrale Themen. Auffällig sei die Zahl junger Menschen, die Hilfe bei der Telefonseelsorge suchen. Auch hier nehme die Zahl derjenigen zu, die Suizidabsichten äußern. Fast immer stünden dahinter körperliche, seelische oder sexuelle Gewalterfahrungen, heißt es in der Studie. „Wir sind Kirche an den Rändern“, sagt Christine Endres, Leiterin des Fachbereichs Diakonische Pastoral/Sonderseelsorge der Diözese Würzburg. „Wir sind für Menschen da, die sonst keine Ansprechpartner haben. Wir bekommen viel von dem mit, was die Menschen bewegt.“
Die hohe Verantwortung, die auf den Mitarbeitern liegt, spiegelt sich in der Auswahl, Ausbildung und Begleitung wider. Nicht jeder sei dafür geeignet, erklärt Angelika Pfefferkorn, Mitarbeiterin bei der Telefonseelsorge Würzburg. „Man braucht hochstabile Menschen.“ Engagement, Neugierde, Beziehungsfähigkeit und die Fähigkeit zur Selbstreflexion seien wichtige Voraussetzungen. „Man muss ein offenes Ohr und ein offenes Herz haben sowie bereit sein, sich auf Neues einzulassen.“ Im Rahmen der einjährigen Ausbildung lernen die angehenden Telefonseelsorger auch sich selbst besser kennen. „Ich wollte helfen, aber was das bedeutet, ist mir erst in der Ausbildung klar geworden“, erzählt ein Ehrenamtlicher. „Ich dachte erst, ich soll bestimmen, was gemacht wird. Aber ich bin derjenige, der zuhört.“ Vielen werde erst in der Ausbildung klar, was es für eine Leistung sei, einfach nur zuzuhören, sagt Ruth Belzner, Leiterin der Telefonseelsorge Würzburg. Auch nach der Ausbildung hört das Lernen nicht auf. Jeden Monat nehmen die Ehrenamtlichen an einer Supervision teil, dazu kommen regelmäßige Fortbildungen, im vergangenen Jahr beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Würzburg. Unter Fachleuten habe die Telefonseelsorge einen guten Ruf, sagt Endres. „Wir werden von Medizinern als Fachpartner geschätzt.“
„Danke für das, was Sie der Welt geben“, sagt Weihbischof Boom zum Abschluss des Gesprächs. Die Telefonseelsorge sei ein Ort, an dem unterschiedliche Kirchen und Gemeinschaften zusammenkommen, um gemeinsam etwas für die Menschen zu tun. „Vielleicht ist das auch ein bisschen die Zukunft von Kirche, dass man einen gemeinsamen Spiritus hat.“ Zum Abschluss gibt der Weihbischof den Mitarbeitern mit auf den Weg: „Die Menschen, die bei Ihnen anrufen, sind in Gottes Händen. Sie also sind nicht der, der sie retten muss.“ Doch es sei auch immer Gott, der aus diesen Menschen spreche, auch wenn man das nicht immer wahrhaben wolle. „Ich wünsche Ihnen ganz viele Christus- und Gottesbegegnungen mit den vielen Menschen, mit denen Sie zu tun haben.“
Hintergrund: Geschichte der Telefonseelsorge
Am 2. November 1953 platzierte der anglikanische Pfarrer Chad Varah in London erstmals das telefonische Angebot: „Before you commit suicide, ring me up!“ („Bevor Du beschließt, Dich umzubringen, ruf mich an!“) Varah erhielt eine Flut von Anrufen und wurde bald von vielen Freiwilligen unterstützt. Er gilt heute als Gründervater der Telefonseelsorge. In Deutschland wurde im Oktober 1956 erstmals eine private Telefonnummer für die „Ärztliche Lebensmüdenbetreuung“ in der Presse veröffentlicht. Heute gibt es bundesweit 108 Stellen mit mehr als 8000 ehrenamtlichen Mitarbeitern. Im Jahr werden rund zwei Millionen Gespräche geführt. Die Telefonseelsorge Würzburg gibt es seit dem Jahr 1972, die Telefonseelsorge am Untermain wurde im Jahr 1997 eingerichtet. Träger der ökumenischen Einrichtung sind die Diözese Würzburg, das evangelische Dekanat Würzburg, der Caritasverband und das Diakonische Werk.
sti (POW)
Main Post